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“Blinde Geister” von Lina Schwenk

“Blinde Geister” von Lina Schwenk

erschienen am 21.08.2025 im C.H. Beck Verlag

umfasst 191 Seiten

*Vorsorglich kennzeichne ich hier die Links, die zur Verlagsseite und zur Autorenseite führen als Werbung*

Herzlichen Dank an C.H. Beck und Netgalley Deutschland für die Bereitstellung des Leseexemplars!


Klappentext:

Olivia, die Tochter von Rita und Karl, kennt seit jeher die Angst der Erwachsenen vor einem erneuten Krieg, obwohl seit Jahren Frieden herrscht in Deutschland. Beharrlich überprüft Karl die Speisekammer auf Vorräte, und immer wieder sucht die Familie gemeinsam Zuflucht im Keller, wenn der Vater den Einfall der Russen fürchtet. Für Olivia und ihre Schwester Martha ist es ein Spiel, dem sie sich still fügen, auch weil sie längst wissen, dass den Eltern die Worte für Erklärungen fehlen und das Schweigen nur umso lauter wird, je mehr sie fragen. “Bald bin ich tot”, denkt auch Olivia, als die Unruhe der Eltern schleichend zu ihrer eigenen wird. In ihrer ersten eigenen Wohnung fehlt Olivia der Keller – dieser kleine Schutzbunker ihrer Kindheit, der immerhin eins bedeutete: Familienzeit. Die langen Risse, die von den Eltern bis in ihre Generation reichen, erkennt sie erst, als sie später versucht, ihre eigene Tochter vor jenem Bedrohungsgefühl zu schützen. Doch dann kommt der Februar 2022, und das, was zuvor wie ein Phantom wirkte, wird plötzlich erschreckend real. “Blinde Geister” ist ein vielschichtiger und bewegender Roman, der vor dem Hintergrund deutscher Zeitgeschichte tief verwurzelte Ängste freilegt und mit feinem Gespür das Sonderbare und Entrückte im Menschen ergründet.

So hat es mir gefallen:

Wie schafft man es aus dem Geflecht der Erinnerungen der Eltern. Wie befreit man sich aus den Ängsten der Eltern, die mit der Zeit die eigenen Ängste darstellen oder sind es sogar die kollektiven Ängste?

“Blinde Geister” beschreibt transgenerationale Traumata des zweiten Weltkriegs und wie diese sich in der Familie und bis in die Gegenwart auswirken.

Olivia und ihre Schwester wachsen mit Eltern auf, die den 2. Weltkrieg miterlebt haben, aber nicht darüber sprechen. Es scheint wie ein “normales” Familienleben, doch die häufige “Flucht” in den Keller mit der ganzen Familie durch den Vater oder die Oma, die mit zunehmenden Alter die Erlebnisse “wieder erlebt”, all dem sind die beiden Töchter ausgesetzt. Sie werden durch diese Vorgänge entsprechend geprägt und gerade Olivia trägt diese diffuse Angst immer in sich.

Parallel zur eigenen Familie, werden die Mädchen auch in der Schule noch von Lehrern begleitet, die “militärische Übungen” in den Sportunterricht einbauen. Das konnte ich persönlich sehr gut nachvollziehen, da ich selbst noch Anfang der 70er Jahre in der Grundschule einen Sportlehrer hatte, der mit militärischem Drill versucht hat und SchülerInnen zu “disziplinieren”.

Die LeserInnen begleiten Olivia über Jahrzehnte und erleben ihre psychische Labilität und die diffuse Bedrohung, die ihr Leben prägt. Das erzeugt eine besondere Atmosphäre, die teilweise schwer aushaltbar ist. Man begleitet Olivia als Kind, wie sie ihren Mann kennenlernt und selbst Mutter wird bis in ihr Alter. Die Sprachlosigkeit der Eltern übernimmt Olivia auch in ihre Familie, was es dann in der 3. Generation ebenfalls für Ihre Tochter schwer macht.

Wo steht man mit seinen Befürchtungen am Ende eines Lebens, wenn nichts so eingetreten ist, wie befürchtet? Die Komplexität dieser Fragen lässt sich für die Betroffene nicht auflösen, da durch die Sprachlosigkeit, die Bedrohung nie wirklich konkret vorhanden war. Die gesetzte Angst bleibt immanent vorhanden, gerade weil sie nicht klar binnenbar ist.

Diese Tage, an denen sich die Stille ausbreitet, als schwiege das ganze Land. Als hielten alle Menschen inne, angespannt, voller Angst. Diese Warten auf etwas kann ich nicht ertragen, dass konnte ich noch nie, früher schon nicht, wenn Karl bewegungslos im Wohnzimmer saß oder in der Küche vor dem Radio. Heute warte ich selbst, ohne wirklich zu wissen, worauf.

Fazit:

“Blinde Geister” ist ein intensiver Roman, der mit einer besonderen Erzählart verdeutlicht, wie Krieg und Traumata über Generationen in Menschen nachwirken und ist damit aktueller den je. Es ist kein “leichtes” Buch und man möchte der Protagonistin oft “helfen”, um die übernommen Strukturen hinter sich zu lassen, weil man als LeserIn zum “zusehen” verurteilt ist. Ein wichtiges und gutes Buch, dass völlig zu Recht für den Deutschen Buchpreis 2025 nominiert war.

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