“Windstärke 17” von Caroline Wahl
erschienen am 15.05.2024 im Dumont Verlag
umfasst 256 Seiten
*Vorsorglich kennzeichne ich hier die Links, die zur Verlagsseite und zur Autorenseite führen als Werbung*
Herzlichen Dank an Dumont und Netgalley Deutschland für die Bereitstellung des Leseexemplars!
Klappentext:
Ida hat nichts bei sich außer dem alten, verschrammten Hartschalenkoffer ihrer Mutter, ein paar Lieblingsklamotten und ihrem MacBook, als sie ihr Zuhause verlässt. Es ist wahrscheinlich ein Abschied für immer von der Kleinstadt, in der sie ihr ganzes bisheriges Leben verbracht hat. Im Abschiednehmen ist Ida richtig schlecht; sie hat es vor zwei Monaten nicht einmal auf die Beerdigung ihrer Mutter geschafft. Am Bahnhof sucht sie sich den Zug aus, der am weitesten wegfährt – auf keinen Fall will sie zu ihrer Schwester Tilda nach Hamburg –, und landet auf Rügen. Ohne Plan, nur mit einem großen Klumpen aus Wut, Trauer und Schuld im Bauch, streift sie über die Ostseeinsel. Und trifft schließlich auf Knut, den örtlichen Kneipenbesitzer, und seine Frau Marianne, die Ida kurzerhand bei sich aufnehmen. Zu dritt frühstücken sie jeden Morgen Aufbackbrötchen, den Tag verbringt Ida dann mit Marianne, sie walken gemeinsam durch den Wald oder spielen Skip-Bo, abends arbeitet Ida mit Knut in der »Robbe«. Und sie lernt Leif kennen, der ähnlich versehrt ist wie sie. Auf einmal ist alles ein bisschen leichter, erträglicher in Idas Leben. Bis ihre Welt kurz darauf wieder aus den Angeln gehoben wird.
So hat es mir gefallen:
Bereits “22 Bahnen”, der letzte Roman über die Schwestern Tilda und Ida von Caroline Wahl hat mit richtig gut gefallen. Nun ist der neue Roman “Windstärke 17” erschienen. Hier ist Ida, die “kleine Schwester” aus “22 Bahnen” die Protagonistin.
Ida verlässt mit einem Koffer und ihrem Macbook die Wohnung, in der sie ihre Kindheit verbracht hat. Diesmal endgültig. Ihre Mutter ist verstorben und eigentlich soll sie zu ihrer Schwester Tilda nach Hamburg kommen, aber sie entscheidet sich spontan weiter zu fahren bis nach Rügen.
Für Ida ist dies ein Teil Selbstfindung, war ihr Leben bisher doch geprägt durch das Zusammenleben mit der alkoholkranken Mutter. Sie verlässt nun zwangsläufig das dysfunktionale Familiensystem, dennoch bleibt ein Stück weit die “Co-Abhängigkeit” für Ida bestehen.
Sie ist “lost”, macht sich Vorwürfe und weiss nicht wie es für sie weitergehen soll.
Durch einen Zufall kommt sie in Rügen mit Knut und Marianne in Kontakt, die ihr das Jugendzimmer ihrer Tochter anbieten. Hier findet Ida eine Art Zuhause, das sie so nie hatte. Marianne kocht, sie spielen Skip-bo und sie gehen zusammen walken. In der Frühe geht Ida häufig in die Ostsee und kämpft/schwimmt bis zur Erschöpfung gegen die Wellen an. Das Meer spielt dabei eine eigene Rolle in diesem Buch, denn Ida nimmt es täglich mit der Kraft des Meeres auf, um es zu testen und die eigenen Grenzen zu erfahren und sich damit zu spüren.
Jedes Mal wenn ich im Meer schwimme, gebe ich ihm die Möglichkeit, mich mitzureißen, mich zu töten, und es tut es nicht. Das rechne ich ihm hoch an. Das es bei jedem Wetter so wunderschön vor mir liegt, manchmal wild tanzt und mich trotz meiner scheinbaren Respektlosigkeit nicht töten will. Ganz selten habe ich das Gefühl, und das ist das schönste Gefühl, dass es mich auch ein bisschen als Teil von sich akzeptiert.
Als LeserIn ist man immer direkt “im Kopf” von Ida mit dabei und fühlt mit ihr. Man erlebt ihre innere Zerrissenheit zwischen Wut, Trauer und Verzweiflung. Man versteht wie gut ihr die Ruhe und Normalität bei Marianne und Knut tut, aber auch immer die Angst des Verlustes darüber schwebt. Auf Rügen lernt Ida dann auch Leif kennen, der ebenfalls ein zerrissener Charakter ist und man zunächst nicht sicher ist, ob er Ida gut tun wird oder sie eher wieder ins “Chaos” stürzen wird. Aber gerade das ist ein Aspekt, den ich bei den Büchern von Caroline Wahl sehr gerne mag, dass die Charaktere so viele unterschiedliche Facetten haben und deshalb auch so authentisch sind.
Ida findet bei Marianne und Knut endlich ein wenig Ruhe und Stabilität und bekommt ein Stück Kindheit zurück, die sie nie in dieser Form hatte. Die beiden helfen ihr wieder etwas Stabilität in ihr Leben zu bringen. Auch wenn zum Ende hin diese Stabilität zu bröckeln droht, ist der Ansatz schön, dass man Familie, Stabilität und Vertrauen auch außerhalb der Ursprungsfamilie finden kann und das manchmal ganz unerwartet passiert.
Fazit:
Caroline Wahl beschäftigt sich in diesem Roman unter anderem mit der Frage, wie kann man sich ein eigenes Leben aufbauen, die Verletzungen und Prägungen der Kindheit hinter sich lassen und wieder anfangen zu Vertrauen.
Es gelingt ihr wieder sehr gut die Zerrissenheit der Protagonistin darzustellen und auch das Zerstörerische im Aufwachsen in einer “Suchtfamilie”
Es ist kaum zu glauben, dass die Autorin keine persönliche Erfahrung mit dem Thema Alkoholismus hat. So gut beschreibt sie die Innenwelt der Protagonistin und das filigrane Gerüst der Emotionen, in der sie ihre Kindheit verbracht hat.
“Windstärke 17” lässt sich natürlich auch lesen, ohne dass man das vorherige Buch gelesen hat. Da Caroline Wahl aber so gut schreibt, kann ich jedem nur empfehlen beide Bücher zu lesen.
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