Mittagsstunde
von Dörte Hansen
erschienen am 15.10.2018 bei Penguin Verlag
umfasst 320 Seiten
* vorsorglich kennzeichne ich hier die Links, die zur Verlagsseite und zur Autorenseite führen als Werbung*
Herzlichen Dank an das Bloggerportal von Randomhouse für das Rezensionsexemplar!
Der erste Roman von Dörte Hansen „Altes Land“ hat mich schon sehr begeistert, um so mehr freute ich mich auf den neuen Roman.
Klappentext:
Die Wolken hängen schwer über der Geest, als Ingwer Feddersen, 47, in sein Heimatdorf zurückkehrt. Er hat hier noch etwas gutzumachen. Großmutter Ella ist dabei, ihren Verstand zu verlieren, Großvater Sönke hält in seinem alten Dorfkrug stur die Stellung. Er hat die besten Zeiten hinter sich, genau wie das ganze Dorf. Wann hat dieser Niedergang begonnen? In den 1970ern, als nach der Flurbereinigung erst die Hecken und dann die Vögel verschwanden? Als die großen Höfe wuchsen und die kleinen starben? Als Ingwer zum Studium nach Kiel ging und den Alten mit dem Gasthof sitzen ließ? Mit großer Wärme erzählt Dörte Hansen vom Verschwinden einer bäuerlichen Welt, von Verlust, Abschied und von einem Neubeginn.
So hat es mir gefallen:
Ich habe den Roman sozusagen „blind gelesen“, will heißen, ich wusste nicht wirklich worum es geht und habe auch den Klappentext vorab nicht gelesen.
Mit dem Anfang des Buches habe ich mich erst etwas schwer getan. Ich wusste nicht so genau, in welche Richtung die Geschichte führt und musste erst ein bisschen reinkommen in die Kapitelabfolge, die immer in der Zeit springt (Früher-Heute).
Was von Anfang an aber wieder so großartig war, ist die bildhafte Schreibweise von Dörte Hansen. Viele der Beschreibungen hatte ich direkt vor Augen und nicht nur mit den Schlagertiteln, die unter anderem den Kapiteln ihre Überschrift geben, entsteht die Atmosphäre einer vergangenen Zeit.
„Mittagsstunde“ spielt im nordfriesischen Dorf Brinkebüll rund um den Gasthof, der von Sönke und Ella Feddersen bewirtschaftet wird. Ihre „verschrobene“ Tochter Marret wird ungewollt schwanger und keiner weiss von wem. Der kleine Sohn Ingwer wird geboren und wächst vor allem bei seinen Großeltern auf, weil Marret in ihrer eigenen Welt lebt. Ingwer besucht die Dorfschule mit dem alleinigen Lehrer Steensen, der über Jahrzehnte hinweg alle Kinder des Dorfes unterrichtet hat. Ingwer ist ein begabtes Kind und geht später aufs Gymnasium und studiert.
Als Sönke 90 Jahre alt ist und Ella mit Altersdemenz zu kämpfen hat, kommt Ingwer Feddersen zurück ins Dorf, um die „Eltern“ zu pflegen und zu unterstützen.
Wieder zurück in der Heimat, stellt er fest, dass er sozusagen „Gefangener zweier Welten“ ist. Er ist, wie viele seiner Generation, ausgebrochen aus dem dörflichen Leben, nicht Bauer oder Gastwirt geworden, sondern ist in die Stadt zum Studieren.. Als er zurückkommt, merkt er wie sich das Heimatgefühl einstellt und gleichzeitig auch die Feststellung, nicht dorthin zu gehören. Wieder zuhause und mit den Eigenarten und dem Zusammenleben von Sönke und Ella täglich konfrontiert, hinterfragt er seinen eigene Lebensweise und den Ausblick auf das eigene „Altern“.
Das Besondere…
Dörte Hansen legt mit diesem Buch eine Art „Lupenglas“ auf ein Stückchen Zeitgeschichte. Vordergündig im unbedeutenden Dörfchen „Brinkebüll“, letztlich aber stellvertretend für ein allgemeine Wandlung der letzten 50 bis 100 Jahre.
Wieder ganz wunderbar schafft sie es, mit dem „gesprochenen Dialekt“ ein ganz besonderes Gefühl zu erzeugen, dass mich als Leser förmlich in „Brinkebüll“ mitwohnen lässt. Diese Art des Schreibens hat mich schon bei ihrem letzten Roman sehr begeistert. Die Klangfarbe des Dialektes bringt soviel Gefühl und Eigenheit in die Geschichte.
Die Figuren aus Brinkebüll kennt man, so oder ähnlich, aus eigenem Erleben in seinem Umfeld. Man erhält den Einblick in Leben, die nicht leicht sind und immer auch geprägt durch das Zusammenleben in dörflicher Struktur und mit der Natur.
„Man machte es am besten wie das dünne Pferd, man duckte sich und blieb ganz still, den Rücken in den Wind, den Kopf gesenkt, norddeutsche Schonhaltung. Dem großen Mahlwerk möglichst wenig Angriffsfläche bieten, man gewöhnte sich das an, wenn man hier aufgewachsen war.“
Harte Lebenswege geprägt noch durch Kriegserfahrungen und einen völlig anderen Umgang mit Erziehung und Kindern. Letztlich jeder aber auf der Suche nach dem kleinen Glück.
Gerade die zweite Hälfte des Buches hat mich sehr gepackt und emotional berührt. Oft ist man vielleicht mit dem eignen Leben unzufrieden oder wird durch die sozialen Medien dazu verleitet, sich immer mehr und tollere Dinge zu wünschen.
Heimatroman oder Zeitdokument?
„Mittagstunde“ wird aktuell in der “Zeit” im Kontext des Heimat- oder Dorfromans diskutiert.
Ich denke, dass diese Art des Erzählens gerade sehr gut tut, weil man im gesellschaftlichen Wandle im Hinblick bspw. auf Globalisierung oft den schnellen und vielfältigen Veränderungen etwas hilflos begegnet, sie etwas nicht Greifbares, Schnelles beinhalten. Durch die Erzählung erinnert man sich an Zeiten, in denen, in der Verklärung vielleicht, das ein oder andere einfacher erschien. Liest man hier aber genauer bzw. denkt etwas konkreter über die Erinnerungen nach, so stellt man schnell fest, dass vieles vielleicht romantisch erschein, aber doch auch große „Flurschäden“ hinterlassen hat. Gut kann man das sicher bei der Kindererziehung oder der gesellschaftlichen Rolle der Frau sehen. Da wünsche ich mir diese Zeiten mit Sicherheit nicht zurück.
Fazit
Dieses Buch erdet. Es macht einem sicher auch das ein oder andere „Luxusproblem“ bewusst, mit dem man sich vielleicht gerade herumschlägt. Gleichzeitig zeigt es aber auch die enorme Entwicklung und die Möglichkeiten, die die jüngeren Generationen zur Verfügung haben.
Ein Buch über die Veränderungen und den Umgang damit und letztlich auch über die Prioritäten, die man für sein Leben setzt.
Wer noch ein Weihnachtsgeschenk braucht, dem ist dieser Roman sehr zu empfehlen. Er startet etwas gemächlich und fegt dann durch.
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