Als die Liste der nominierten für den Buchpreis 2020 veröffentlich wurde, kannte ich keins der gewählten Bücher. Im letzten Jahr habe ich an einer Blinddate-Lesung in Frankfurt zum Buchpreis teilgenommen und war ziemlich begeistert. Glücklicherweise hat in diesem Jahr das Literaturhaus Frankfurt die Lesung der nominierten AutorenInnen der Shortlist online gestreamt. Dort hörte ich unter anderem die Lesung zum hier besprochenen Buch. Interessant war die Geschichte, die Anne Weber dort erzählte, wie das Buch quasi zu ihr gekommen ist. Bei einem Filmfestival in Südfrankreich lernten sich die Autorin und die “spätere Protagonistin” kennen. Anne Weber erzählte: “„Das schöne alte Gesicht und ihre lebhafte Art zu sprechen, hat mich direkt eingenommen.”
Annette ein Heldinnenepos
von Anne Weber
erschienen 2020 bei Mattes-Seitz-Berlin
umfasst 220 Seiten
*vorsorglich kennzeichne ich hier die Links, die zur Verlagsseite und zur Autorenseite führen als Werbung* Herzlichen Dank an Mattes-Seitz-Berlin und Netgalley für die Bereitstellung des Leseexemplars!
Klappentext:
Was für ein Leben! Geboren 1923 in der Bretagne, aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, schon als Jugendliche Mitglied der kommunistischen Résistance, Retterin zweier jüdischer Jugendlicher — wofür sie von Yad Vashem später den Ehrentitel »Gerechte unter den Völkern« erhalten wird –, nach dem Krieg Neurophysiologin in Marseille, 1959 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wegen ihres Engagements auf Seiten der algerischen Unabhängigkeitsbewegung… und noch heute an Schulen ein lebendiges Beispiel für die Wichtigkeit des Ungehorsams.
Was ist eigentlich ein Epos?
Epos kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Vers. Der Ursprung des Epos liegt in mündlich überlieferten mythischen Erzählungen. Typische Inhalte für das Epos sind Heldentaten, Sitten, Gebräuche und Kämpfe. Das Epos besitzt ein gleichmäßiges Versmass und formelhafte Wendungen.
Soweit die Theorie. –
Das Epos ist in unserem heutigen Verständnis eigentlich eine „alte“ Form des Erzählens und wird mit aktueller Literatur im Gemeinen nicht mehr in Verbindung gebracht. Um so spannender, dass Anne Weber es nun als Erzählform für ihr Buch gewählt hat. Sie betonte, dass sie sich nicht vorstellen konnte einen klassischen Roman zu schreiben und Dialoge etc. in der Mund der Protagonistin zu legen. Durch die Erzählform des Epos ist hier nochmal eine ganz eigene Version der „Annette Beaumanoir“ entstanden.
Wer jetzt einen sperrigen und merkwürdig lyrischen Text erwartet, der täuscht sich!
So hat es mir gefallen:
Die Geschichte der Annette Beaumanoir ist eine sehr außergwöhnliche. In der Bretagne geboren, geht sie als junge Frau nach Paris und arbeitet dort in der Widerstandbewegung gegen die Nazis und rettet Juden.
Die Tür hat sich hinter den dreien längst geschlossen, da steht er noch und möchte weinen weinen weinen, und wir, wir stehen in der fernen Zeit und stehen und finden keinen Satz und keinen Vers und keine Zeile, die etwas anders möchte als zu stehen mit ihm und zu weinen.
Sie ist ihr Leben lang auf der Suche nach “Gerechtigkeit”. Sie liebäugelt mit dem Kommunismus und versteht ihn im besten Sinne, rückblickend vielleicht naiv. Ihr Kampf für eine “bessere Welt” hat einen hohen Preis. Sie verliert die Beziehung zu ihren Kindern.
Liest man über diese aussergewöhnliche Frau, so wünscht man sich definitiv mehr Menschen mit diesem Rückrad und dem Mut für ihre Ideale einzustehen.
Anne Weber schildert diese Frau in all ihren Facetten und diese zeigen natürlich auch die Zwiespätigkeit von Annette auf. Das macht es in meinen Augen umso interessanter, denn gerade der Begriff “Heldin” suggeriert eine Art Unfehlbarkeit. Allerdings ist es bei allen HeldenInnen immer eine Frage des Kontext und des moralischen Hintergrundes.
Annette Beaumanoir war immer auf der Suche nach einer besseren Welt und hat sich persönlich dabei möglicherweise verloren. Ob rückblickend ihr Tun immer heldenhaft war, liegt im Auge des Betrachters, natürlich ist es immer auch ein Leichtes die Vergangenheit mit dem Wissen des Jetzt zu veruteilen.
Anne Weber schreibt diese Geschichte in einer solch wunderbaren Sprache, mit tollem Rythmus und ab und an einem Augenzwinkern. Sie “kommentiert” dieses Leben in ihrem Text, was für den/die LeserIn hilfreich sein kann, um die historischen Zusammenhänge besser zu verstehen.
Zum Ende des Textes wird es nochmal sehr persönlich und die Autorin lässt das Kennenlernen der beiden Frauen mit einfliessen. Hier hätte ich gerne noch weiter gelesen. Mich würde interessieren, wie sich die “Beziehung” dieser beiden Frauen weiter entwickelt und wie Annette Beaumanoir ihr Leben im Rückblick “bewerten” würde.
Fazit:
Ein verdienter Buchpreis für ein außergewöhnliches Werk einer interessanten Autorin und Protagonistin. Es ist erfrischend etwas in diesem Stil zu lesen, was zunächst veraltet erscheint und dann so modern adaptiert ist. Diese kleine rote Buch kann ich nur jedem ans Herz lesen. Es ist wirklich etwas sehr Besonderes.
Die Empfehlung gilt ebenso für das Hörbuch, was sehr angenehm von Christina Puciata eingelesen wurde.
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