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“Mutterland” von Paul Theroux [ Rezension]

 

 

„ Mutterland“

von Paul Theroux

umfasst 653 Seiten

erschienen 2018 bei Hoffmann & Campe

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Vielen Dank an Hoffmann & Campe für das Rezensionsexemplar!

 

Klappentext:

Alle in Cape Code halten Mutter für eine wunderbare Frau: fleißig, fromm, genügsam.

Alles außer ihrem Ehemann und ihren sieben Kindern.

 

So hat es mir gefallen:

Die Rezension von „ Mutterland“ stellt sich für mich schwierig dar.

Bei mir fiel dieses Buch auf belasteten Boden. Was hier zu keiner „ neutralen“ Betrachtung führt, wenn das überhaupt bei Büchern möglich ist.

Für viele Menschen ist die Beziehung zur Mutter eine Besondere, Außergewöhnliche und nur allzu oft auch Schwierige.

Bei Mutterland hatte ich mehr als nur ein Deja -vu- Erlebnis. Ganz im Gegenteil, die beschriebene Mutter von Jay, glich in vielen Situationen exakt meiner Schwiegermutter und teilweise auch meiner Mutter. Die Parallelen zu meiner Schwiegermutter, ließen meinen Mann, der teilweise Auszüge vorgelesen bekam, und mich staunen über die enormen Überschneidungen.

Für mich war es tatsächlich ein Kampf dieses Buch zu lesen. In meinem Empfinden erzählt Theroux in epischer Breite ( 653 Seiten) die Geschichte seiner Familie. Die alles beherrschend Mutter, die Ihre sieben Kinder bis zu ihrem Ende absolut unter Kontrolle hat. Er beschreibt das System dieser Familie, die Umgehensweise der Geschwister untereinander, die alle um die Gunst der Mutter buhlen und doch gefangen sind in der Co-abhängigkeit zu diesem dysfunktionalen Familiensystem. Es fiel mir schwer immer und immer wieder ähnliche Situationen zu lesen und dem Scheitern der unterschiedlichen Charaktere zuzuschauen.

Die Charaktere und hier vor allem Jay, aus dessen Perspektive der Roman erzählt ist, schafft es nicht, sich aus diesem Mutterland zu befreien, was aus ihm eine tragische Figur macht. Da ich dieses System aus eigenem Erleben kenne und wir es zumindest zu größten Teilen geschafft haben, daraus zu fliehen, macht mich Jay in diesem Buch richtiggehend wütend in seiner Unreflektiertheit und seinen stoischen Handlungsweisen.

Die Mutter wird akribisch in all ihren Facetten beschrieben, was sie sehr lebendig macht. Ihre Rolle als manipulativer Charakter wird sehr gut verdeutlicht.

„Vor allem Mutter. Wenn man ihr gegenüber ein Zeichen der Schwäche zeigte, war man geliefert. Zuerst tat sie so, als habe sie nicht bemerkt, dann heuchelte sie Mitgefühl und holte aus einem so viele Details heraus, bis ihre Version der Geschichte feststand.. Und damit hatte sie einen in der Hand.“

Es ist wichtig diese manipulative Seite darzustellen, kommt sie doch oft vor und ist leider schwer zu erkennen. Menschen, die aus so einem System kommen, fällt es schwer diese Manipulation zu erkennen, vor allen, weil das Außen die „Manipulierenden“ oft als liebenswert oder freundlich empfinden. Das führt dazu, dass die „ Manipulierten“ an ihrer Wahrnehmung zweifeln. Hier genau liegt die Schwierigkeit sich aus diesen Systemen zu befreien.

Diese Aspekte zeigt dieser Roman sehr gut.

Letztlich fehlte mir im Roman allerdings das „ Auflösende-Moment“ bzw. dieses hätte ich mir gewünscht, sozusagen als Hilfestellung für „ Betroffene“.

Ich habe mich förmlich durch das Buch durchkämpfen müssen, nicht wegen der Schreibweise, aber wegen der Thematik, die mich zurück geworfen hat auf bestimmte Themen und diese wieder hervorgeholt hat. Somit ist dieser Roman sicher keine Erbauungsliteratur für Menschen aus problematischen Familiensituationen.

Interessant ist es sicherlich, wie dieses Buch bei Lesern ankommt, die mit dieser Form von Familie nie in Berührung gekommen sind. Es ist bestimmt spannend zu erfahren, was sie daraus mitnehmen bzw. wie es auf sie wirkt.

Ich kann die Beschreibung auf dem Buchrücken „ Mit einer gehörigen Portion schwarzem Humor…“ leider in keinster Weise zustimmen, da ich hier keinen schwarzen Humor feststellen konnte. Vielleicht ist dies nur möglich, wenn man das beschriebene Familienmodell als reine Fiktion betrachten kann. Kennst man es aber in Realität ist es fern ab von Humor.

Paul Theroux schreibt natürlich brilliant, jedoch hätte der Roman sicher auch in etwas kürzere Form funktioniert. Stellenweise war er mir zu langatmig und ich hatte das Gefühl von Wiederholungen.

Letztlich hat die Hauptperson Jay für mich viel zu wenig Wandlung durchlebt, so dass das Buch irgendwie farblos bleibt und mich als Leser etwas ratlos zurücklässt.

 

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4 Comments

  • Reply
    Pink Anemone
    Mai 21, 2018 at 7:31 pm

    Hallo Isabel,
    erstmal Danke für die tolle Rezension, welche gleichzeitig einen kleinen persönlichen Einblick gewährte. Die Thematik ist für Betroffene sicher keine leichte Kost, ich hingegen finde diese Thematik äußerst interessant, vor allem wenn man dies vom psychologischen Standpunkt aus betrachtet…besser gesagt von der Pathopsychologie her. Dieses Buch gelangt daher auf meinen WL.

    Liebe Grüße aus Wien
    Conny

    • Reply
      Fredriksson
      Mai 22, 2018 at 7:02 am

      Liebe Conny,
      danke für Deinen lieben Kommentar.
      Würde mich dann wirklich interessieren, wie Du das Buch siehst!
      Lieben Gruß
      Isabel

  • Reply
    Elena
    Mai 20, 2018 at 4:25 pm

    Danke für diese interessante Rezension, die auch persönliche Einblicke erlaubte. Ich stimme dir zu, dass grad bei solchen Büchern eine “Auflösung” wichtig ist, sonst bleibt schnell ein unbefriedigendes Gefühl zurück. Grad für Betroffene wäre es auch enorm hilfreich, eine guten Weg damit umzugehen vorzustellen. Bei so vielen Seiten wäre das sicherlich drin gewesen.

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